Wirtschaftlichkeitsgebot rechtfertigt nicht jede Importretax

Alles was nicht ausdrücklich vertraglich geregelt ist, wird von manchen Kranken­kassen zum eigenen Vorteil retaxiert. Mit dieser Erkenntnis müssen wir Apotheker uns offenbar zunehmend abfinden, da es unserer Standes­vertretung selbst 20 Monate nach Inkraft­treten des neuen Schieds­vertrags immer noch nicht möglich war, die seit Jahren bekannten Versorgungs­probleme endlich vertraglich in bürokratisch „trockene Tücher“ zu wickeln.

Wenn weder im bundesweiten Rahmen­vertrag noch regional eine interpretations­sichere Vereinbarung existiert, dann wird immer wieder gerne das allgemeine Wirtschaftlich­keits­gebot § 12 SGB V bemüht, welches sinngemäß in die meisten Regional- und Ergänzungs­verträge übernommen wurde, obwohl es eigentlich Aufgabe dieser Verträge ist, dieses allgemeine Rahmen­recht detailliert und fallbezogen mit Leben zu füllen.

Der Fall

Krankenkasse: AOK Rheinland/Hamburg (IK 104212505)
Verordnet:Reimport Prograf 1 mg Kapseln 100 St. HKP N3
Abgabedatum:08.08.2016

Nun handelt es sich hier zwar um ein namentlich mit dem Warenzeichen des Originalherstellers benanntes Arzneimittel, das aber dennoch nicht genau einen bestimmten Anbieter bezeichnet, sondern durch den unbestimmten Zusatz „Reimport“ vielmehr anbieterneutral verordnet wurde. Dies wird häufig so gemacht, um – aus Sicht der Arztpraxis – stets eine (vermeintlich) günstige Abgabe sicherzustellen. Aber gerade diese lobende, aber undifferenzierte Absicht ist es, die mangels eindeutiger Regelung in vielen Bundesländern immer wieder Probleme macht und letztlich häufig dazu führt, dass die Apotheke – als letztes Glied in der Kette – auf die Vergütung ihrer Patientenversorgung verzichten soll.

Vieles ist im Zusammenhang zwischen Import und Erstanbieter-Original geregelt oder gilt mittlerweile zumindest als Konsens, zum Beispiel:

  • Die gegenseitige Austauschbarkeit zwischen Original und bezugnehmenden Importen
  • Der Abgabevorrang von rabattierten Original- bzw. Importpräparaten
  • Die Austauschbarkeit bei lediglich therapeutisch vergleichbaren Darreichungsformen
  • Die gegenseitige Austauschbarkeit bei Wirkstoffen der Substitutionsausschlussliste
  • Die gegenseitige Austauschbarkeit bei gesetztem Aut-idem-Kreuz, wenn ein Zusatz wie „Kein Import gewünscht!“ fehlt

Da im bundesweiten Rahmen­vertrag und in vielen Regional­verträgen anderer Bundes­länder eine klare Vereinbarung für neutrale Import­verordnungen fehlt, gehen viele Apotheken davon aus, dass eine „neutrale Import­verordnung“, die lediglich den unbestimmten Verordnungs­zusatz „Import“ oder „Reimport“ aufweist, die Abgabe von allen Importen erlauben würde, da kein Importeur namentlich bezeichnet und damit auch im Grunde kein Preisanker vorgegeben sei.

So auch im hier vorliegenden Retaxfall, bei der die Apotheke den Versicherten mit einem Import­produkt der Firma EurimPharm (PZN 00003665) versorgt hat. Diese Abgabe war jedoch der Kranken­kasse – ohne jede explizite vertragliche Grundlage – mit 429,47 Euro zu unwirtschaftlich, da das Produkt der Firma EurimPharm preislich zum Abgabe­zeitpunkt lediglich an 15. Stelle stand. Daher wurde die Apotheke auf einen preis­günstigeren Import mit 400,21 Euro retaxiert:

Der Preis von 400,21 Euro lässt sich allerdings in der Preis­historie der Lauer-Taxe online zum Abgabe­datum (08.08.2016) gar nicht nach­vollziehen:

Da durch die fehlende Nennung eines ganz bestim­mten Importeurs kein Preis­anker vorgegeben wurde und das abgegebene Produkt von EurimPharm auch nicht teurer war als das Bezugs­arzneimittel des Erst­anbieters (Original) und zudem nach Meinung des Apotheker­verbandes die Abgabe den vereinbarten Vorgaben des § 6 ALV NW entsprach, hat der Apotheker­verband Nordrhein im Auftrag der Apotheke Einspruch erhoben.

Die Einspruchsablehnung

Der Einspruch des Apotheker­verbandes wurde von der Rezept­prüfung der Kranken­kasse abgelehnt, da keiner der im Einspruch genannten Vertrags­regelungen auf den vorliegenden Sachverhalt anzuwenden sei. Sie stimmt dem zwar zu, dass hier kein „Preisanker“ gesetzt wurde, lehnt aber auch die im Einspruch genannten Paragrafen ab, da es sich weder um eine „namentliche Verordnung“ noch um die Verordnung des Original­herstellers handeln würde. Vielmehr hält die Rezept­prüfung die Anwendung des § 5 Abs. 4 des ALV NW aus ihrer Sicht für anwendbar, wenn – wie im vorliegenden Fall – kein Rabattvertrag existiert:

5 Abs. 4 des ALV NW

„Kommt eine vorrangige Abgabe rabatt­begünstigter Arznei­mittel nach Absatz 2 nicht zustande, stehen unter den Voraus­setzungen nach Absatz 1 die drei preisgünstigsten Arznei­mittel und im Falle der Aut-idem-Ersetzung zusätzlich das namentlich verordnete Arzneimittel, soweit in den ergänzenden Verträgen nach § 129 Absatz 5 Satz 1 nichts anderes vereinbart ist, oder ein importiertes Arznei­mittel nach Maßgabe des § 6 zur Auswahl; zählt das verordnete Arzneimittel zu den drei preis­günstigsten Arzneimitteln, darf das ersetzende Arznei­mittel nicht teurer als das namentlich verordnete sein.“

Dies wäre jedoch ebenfalls in Frage zu stellen, da als Voraus­setzung dieser Regelung in § 5 (4) ebenfalls in den Absatz 1 und 2 eine Wirkstoff­verordnung oder eine namentliche Verordnung gefordert wird, welche die Krankenkasse ja schon in ihrer eigenen Einspruchs­ablehnung verneinte. Zur Bekräftigung ihrer Meinung bemüht die Kranken­kasse wieder das allgemeine Wirtschaftlich­keits­gebot gemäß § 12 SGB V:

Man sieht, dass dieser Sachverhalt leider nur durch eine spezielle und eindeutige Regelung geklärt werden kann. Tatsache ist aber leider, dass aktuell im Arznei­liefervertrag für die AOK Rheinland/Hamburg, eine solche spezielle Vereinbarung zur „neutralen Import­verordnung“ – wie beispiels­weise in Bayern – noch fehlt.

3 Abs. 22b Regionalvertrag Bayern

„Verordnet der Vertragsarzt ein Arzneimittel mit dem Zusatz „Import“ o. ä., ohne Kennzeichnung des aut idem-Feldes, hat der Apotheker eines der drei preisgünstigsten wirkstoffgleichen Arzneimittel abzugeben.“

Durch das Einfügen dieser einfachen Vereinbarung in alle Regionalverträge könnte man das derzeitige Interpretationswirrwarr ein für allemal beseitigen und die Apotheker künftig vor ad libitum Retaxationen dieses ungeregelten Sachverhalts bewahren.

DAP – Retaxforum – Dieter Drinhaus

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