§ 6 Rahmenvertrag: Vermeintliche Kassen-Wirtschaftlichkeit gegen ärztliche Therapiefreiheit

Wie lange müssen wir Apotheken vor Ort es noch ertragen, dass uns von Ärzten, Patienten oder Pflegepersonal vorgehalten wird, dass wir eine Verordnung nicht nach dem ausdrücklich verordneten ärztlichen Willen versorgen, nur weil wir als letztes Glied in der Kette befürchten müssen, unsere Versorgung nicht vergütet zu bekommen?

Nahezu täglich erhält das DAP Retaxmitteilungen von verärgerten Apotheken, weil diese die therapeutisch erforderliche Verordnung gemäß der ärztlichen Verschreibung zwar versorgt haben, diese aber nach Ansicht mancher Krankenkassen gemäß § 6 Rahmenvertrag unwirtschaftlich sei. Selbst wenn die betroffenen Apotheken durch Gesamtbetrachtung der Patientensituation oder gar durch ärztliche Bestätigungen nachweisen, dass sich die vermeintliche Wirtschaftlichkeit unter dem Strich sogar als Mehrausgabe darstellt, werden nachträgliche Belege von einigen Kassen nicht mehr anerkannt.

Sollte aber die ärztliche Therapiefreiheit nicht in jedem Fall Vorrang haben vor therapiewidrigen veralteten Paragrafen, die Krankenkassen den Apotheken vor Jahren in einen „Liefervertrag“ geschrieben haben und an dem sie beharrlich festhalten?

Der Retaxfall

Nachfolgend ein weiterer § 6-Retaxfall, bei dem die Apotheke eine genau abgestimmte ärztliche Mengenverordnung nur teilweise vergütet bekam:

Krankenkasse: BIG direkt gesund (IK 103501091)
Verordnung:Ondansetron 4 mg 2 x 10!
Temozolomid 140 mg 3 x 10!
Temozolomid 5 mg 20 St.
Versorgungsdatum:19.12.17

Betroffen ist die zweite Verordnungszeile über „Temozolomid 140 mg 3 x 10!“. Die benötigte Verordnungsmenge wurde vom Arzt mit einem „!“ bestätigt und angesichts der im Handel befindlichen Packungsgrößen von der Apotheke aufgeteilt in 1 x 20 St.:

und 2 x 5 St.:

Diese erforderliche Aufteilung wurde vor der Abgabe mit dem Arzt besprochen und auch auf der Verordnung vermerkt („n. R. 1 x 20 St. + 2 x 5 St.!“):

Obwohl beide abgegebenen Packungsgrößen für die Krankenkasse rabattiert waren und sich der vermeintliche wirtschaftliche „Schaden“ somit ja ohnehin relativiert, konnte man sich nicht dazu durchringen, gemäß der neuen Regelung im § 3 Rahmenvertrag von einer Retax abzusehen.

Die beiden 5er-Packungen in Höhe von 1428,98 Euro wurden von der Protaxplus im Namen der Krankenkasse nicht erstattet:

Für den Rezeptprüfungsdienstleister war hier eine „Kürzung auf eine wirtschaftliche Packungsgröße laut Rahmenvertrag“ erforderlich. Die „Kürzung“ bestand dabei darin, dass man die beiden, vom Patienten zusätzlich benötigten, 5er-Packungen nicht vergütete.

Besonders ärgerlich ist es jedoch, wenn sich der eigene Apothekerverband ebenfalls auf diesen problematischen alten § 6 Rahmenvertrag beruft und sich daher nicht in der Lage sieht, für seine Mitgliedsapotheke Einspruch einzulegen, da er „keine rechtlichen Argumente gegen diese Kürzung aufbringen kann“. Der § 6 (3) Rahmenvertrag gibt nun einmal immer noch vor, dass es sich bei der verordneten und abgegebenen Menge von 30 St. nicht um ein Vielfaches des größten Messbereichs Nmax (18–22 St. bzw. Nmax = 20 St., vgl. Abb.) handelt und daher 30 St. nicht beliefert werden können.

Verständlicherweise verärgert, hat die betroffene Apotheke daher selbst Einspruch eingelegt und führte dabei aus,

  • dass der Patient genau die verordnete Tablettenzahl benötigte, um bis zum nächsten Facharzttermin versorgt zu sein.
  • dass 20 St. hierzu nicht ausgereicht hätten und dass 40 St. (als Vielfaches des größten Messbereichs) zu viel gewesen wären, da die Dosierung bei jedem Arzttermin neu festgelegt wird.
  • dass es weder der Arztpraxis noch dem Patienten zu vermitteln sei, dass er auf diese eindeutige Verordnung 10 Tabletten weniger bekommen soll.

Es ist ja auch kaum verständlich, wenn die Apotheke den Arzt bitten muss, eine getrennte Verordnung für die beiden zusätzlich benötigten 5er-Packungen auszustellen, damit die Krankenkasse diese bezahlen muss.

Der Einspruch wurde – wie zu befürchten war – von der Rezeptprüfstelle abgelehnt, die sich beharrlich auf den alten – leider immer noch gültigen – § 6 (3) Rahmenvertrag berief:

Zum Abschluss noch einmal: Wie lange müssen sich Ärzte und Patienten noch über diesen therapiewidrigen „Versorgungsparagrafen“ ärgern und die Apotheken als letztes Glied in der Kette finanziell für eine therapiegerechte Versorgung haften?
Obwohl eine Neuregelung im bundesweiten Rahmenvertrag vorzuziehen wäre, obliegt es auch den regionalen Apothekerverbänden, sich hier um Abhilfe zu bemühen, damit sie in Zukunft auch in solchen Retaxfällen wieder für ihre Mitglieder Einspruch erheben können.

Apotheker Dieter Drinhaus, DAP Forum

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