Prüfpflicht bei Arzneimitteln der sog. Negativliste?

Leider müssen die Apotheken zunehmend feststellen, dass dem Geist des neuen Rahmenvertrags, auf Retaxationen zu verzichten, wenn der Krankenkasse kein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist und die Arzneimittelsicherheit nicht gefährdet war, nur selten entsprochen wird.

Ein Jahr nach der „Schiedseinigung“ zeigt sich, dass Form- und Arztfehler den Apotheken wieder zunehmend via Retax angelastet werden.
Von gemeinsamen Bemühungen, die Patienten künftig ohne übertriebene Bürokratiehürden und schneller ohne Genehmigungsverfahren und Rezeptänderungen zu versorgen, sind wir weiter entfernt denn je.

Folgende Retaxationen erreichte das DAP (eine von zwei gleichlautenden Retaxationen):

Krankenkasse: Bosch BKK (IK 108036123)
Verordnet:Spasmo Mucosolvan TAB 100 St. N3
Abgabedatum:17.11.2016

Die Erstattung wurde der versorgenden Apotheke durch die Rezeptprüfungsstelle verweigert (Zwei Verordnungen à 38,07 EUR):

Laut Mitteilung der Rezeptprüfstelle handelt es sich bei dem verschreibungspflichtigen „Spasmo Mucosolvan“ um einen Artikel der sogenannten „Negativliste“, der laut Arzneiliefervertrag Baden-Württemberg (BW) nicht abgegeben werden darf:

Aus diesem Grund wurde auch ein entsprechender Einspruch der Apotheke abgelehnt.

Nun wenden sich die Verordnungsausschlüsse jedoch überwiegend an die Ärzteschaft, wobei für die Apotheken i. d. R. keine gesetzliche Prüfpflicht besteht – es sei denn, dies ist in den jeweiligen Arzneilieferverträgen (ALV) ausdrücklich vereinbart. Leider gibt es in BW im ALV den § 3 (7), der grundsätzlich auch die Abgabe durch die Apotheke verbietet.

3 (7) Abgabebestimmungen ALV BW

„Die Apotheken sind grundsätzlich nicht zur Überprüfung der Erstattungsfähigkeit verpflichtet. In nachfolgend genannten Fällen dürfen die verordneten Mittel nicht zu Lasten der Krankenkassen abgegeben werden:

  1. Mittel, die nach § 31 Abs. 1 oder nach § 34 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V (AM-RL) keine Leistung der GKV sind,
  2. ausgeschlossene Arzneimittel nach § 34 Abs. 3 SGB V (sog. Negativliste),
  3. Arzneimittel, die gemäß der Packungsgrößenverordnung aufgrund § 34 Abs. 4 SGB V von der Versorgung ausgeschlossen sind.

Diese Abgabebeschränkung gilt nicht, sofern es sich um Mittel handelt, die bei bestimmten Indikationsstellungen erstattungsfähig sind.
Maßgebend ist die aktuelle Kennzeichnung im Preis- und Produktverzeichnis nach § 131 Abs. 4 SGB V zum Zeitpunkt der Abgabe.

Allerdings regelt der unter Nummer 1 aufgeführte § 31 (1) SGB V in erster Linie, dass der Arzt von dem grundsätzlichen Verordnungsausschluss in begründeten Fällen abweichen kann:

31 (1) SGB V

„Der Vertragsarzt kann Arzneimittel, die auf Grund der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 von der Versorgung ausgeschlossen sind, ausnahmsweise in medizinisch begründeten Einzelfällen mit Begründung verordnen.“

Das Problem für die Apotheke besteht jedoch darin, dass sie die ärztlichen Indikationen i. d. R. nicht überprüfen kann und auch nicht überprüfen soll. Sie kann nur prüfen, ob eine Indikation zur Ausnahme berechtigt, wenn diese vom Arzt auf der Verordnung genannt ist, wozu dieser jedoch i. d. R. nicht verpflichtet ist. Er muss die Diagnose lediglich auf seiner Patientendokumentation vermerken.

Möglicherweise fällt Spasmo Mucosolvan unter die in der Anlage III der Arzneimittelrichtlinie (AM-RL) als nicht verordnungsfähig genannten Arzneimittelgruppen und Indikationen:

Dies zu entscheiden, ist jedoch nicht Aufgabe der Apotheke. Sie muss sich auf die Dateneinspielungen ihrer EDV verlassen können.

Dies gilt auch für die Zuordnung zur Negativliste (§ 13 AM-RL), die auch der Spasmo Mucosolvan-Hersteller auf telefonische Anfrage des DAP-Teams nicht bestätigte:

Denn auch hier liegt es nicht in der Befugnis der Apotheke, die Zuordnung zur Anwendung bei Erkältungskrankheiten selbst vorzunehmen oder darüber zu entscheiden, ob der Patient an einer „geringfügigen Gesundheitsstörung“ leidet.

Da es letztlich die Arzneimittelsicherheit gefährden könnte, muss diese Entscheidung in den Händen und in der Verantwortung des behandelnden Arztes bleiben.
Wenn ein Apothekerverband sich schon entschließt, eine Abgabevereinbarung wie im § 3 (7) Arzneiliefervertrag BW (siehe oben) zu unterschreiben, müssen diese Daten kompetent aufbereitet zumindest in der Apotheken-EDV zur Verfügung stehen.

Dies ist jedoch nicht der Fall, denn die Apotheken-EDV verneint die Zugehörigkeit zur Negativliste und sie zeigt auch kein Abgabeverbot gemäß Anlage III der Arzneirichtlinie (AM RL):

Die Apotheken-EDV zeigt keinerlei Erstattungs­bedingungen durch die AM RL an!

Im Gegenteil: Angezeigt wird, dass das Arzneimittel erstattungsfähig ist.

Und da Zuordnung des Arzneimittels durch die Rezeptprüfstelle zur „Negativliste“ entweder nicht zutrifft oder die Apotheken-EDV den Sachverhalt nicht korrekt anzeigt, sollte baldmöglichst die restliche Vereinbarung des eingangs genannten § 3 (7) ALV BW umgesetzt werden.

3 Abgabebestimmungen ALV BW

„(7) […] Die Krankenkassen teilen dem LAV Eintragungen im Preis- und Produktverzeichnis nach § 131 Abs. 4 SGB V mit, die sie für fehlerhaft halten. Der LAV prüft dies umgehend. Ist die Eintragung nach übereinstimmender Ansicht fehlerhaft, wirken die Krankenkassen und der LAV gemeinsam auf eine schnelle Korrektur des Eintrages hin.“

Solange diese Korrektur nicht geschehen ist und die Apotheken keine sichere vertragliche Versorgungsgrundlage haben, sind derartige Retaxationen nicht akzeptabel. Die Apotheken sind bildlich gesprochen mehr als verärgert, dass sie ständig quasi für „Verkehrssünden“ zur Kasse gebeten werden, obwohl die zugehörigen Verkehrszeichen noch gar nicht aufgestellt sind.

DAP – Retaxforum – Dieter Drinhaus

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