Praxis vergisst Arztstempel – Apotheke zahlt 4.589 Euro

Im Juni 2016 hatten sich die Vertreter der Apotheker und der gesetzlichen Krankenkassen auf eine Neufassung des § 3 Rahmenvertrag geeinigt, um einen Schiedsspruch zu vermeiden. In der Kürze der Zeit wurden zwar die Rahmenvorgaben für eine vom Gesetzgeber geforderte entbürokratisierte, problemlosere Patientenversorgung mit weniger Form-Retaxationen vereinbart, die nähere Ausarbeitung wurde jedoch in vielen Fällen auch weiterhin den ergänzenden Regelungen der regionalen Arzneilieferverträge vorbehalten.
Aufgrund des nicht mehr vorhandenen Einigungsdrucks ist allerdings in den mittlerweile verstrichenen eineinhalb Jahren auf regionaler Ebene wenig geschehen, um die Intentionen der schiedsvertraglichen Vereinbarung umzusetzen.

Nach wie vor wird von einigen Krankenkassen alles retaxiert, was nicht explizit und interpretationssicher im Rahmenvertrag oder auf regionaler Ebene von einer Retaxation ausgeschlossen wurde. Im Gegensatz dazu vertritt der Deutsche Apothekerverband die Meinung, dass nur retaxiert werden darf, wenn eine Retaxation vertraglich vorgesehen wurde.

Ein immer wiederkehrender ärgerlicher Retaxgrund ist ein vergessener Arztstempel, den sich manche Krankenkassen nach wie vor von der Apotheke via Retax bezahlen lassen, wenn die Apotheken ihren vertraglich übernommenen Kontrollpflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen sind.

Der Verdacht, dass es hier vorrangig nicht um die Arzneimittelsicherheit geht, sondern darum, dass man sich die häufig hochpreisige medikamentöse Versorgung gern von den Apotheken bezahlen lässt, lässt sich nur schwer entkräften, da manche Kassen kategorisch jede nachträgliche Bestätigung des Arztes ablehnen. Ein Unding, da hier die übliche kaufmännische Gepflogenheit zur Rechnungskorrektur den abrechnenden Apotheken verwehrt wird.

Krankenkasse: DAK Gesundheit (IK 107867991)
Verordnet:Votrient 400 mg 60 St.
Abgabedatum:14.03.2017

Die Verordnung ist zwar unterschrieben, aber der Arztstempel wurde vergessen.

Daher wurde der Apotheke diese Versorgung in Höhe von 4.589,88 Euro (inkl. der bereits bezahlten Herstellerrabatte) nicht bezahlt:

Diese Nullretaxation wurde mit dem fehlenden Arztstempel begründet und vorbeugend wurde auch gleich darauf hingewiesen, dass nachträgliche Arztbestätigungen nicht anerkannt werden:

Nun steht nicht im Zweifel, dass gem. § 4 (1) Buchst. o. vdek-Vertrag der Vertragsarztstempel neben der Unterschrift zu den Angaben einer ordnungsgemäßen Verordnung gehört, die nicht von der Apotheke selbst „geheilt“ werden können:

Dass ein fehlender Arztstempel jedoch auch vom verordnenden Arzt nicht nachträglich geheilt werden kann, ist vertraglich nicht vereinbart.

Im Gegenteil:

Im Kommentar zum Rahmenvertrag weist der Deutsche Apothekerverband (DAV) ausdrücklich darauf hin, dass diesbezügliche Retaxationen trotz vertraglicher Listung dennoch ausgeschlossen sind, es sei denn, die ergänzenden Verträge sehen die Rechtsfolge der Retaxation ausdrücklich vor: 

Kommentar zum RahmenV § 3 Absatz 1 Satz 2 Spiegelstrich 2

Spiegelstrich 2 Angaben des Arztes

„Zum Teil enthalten ergänzende Verträge nach § 129 Absatz 5 SGB V weitergehende Angaben als die in AMVV und BtMVV genannten, zum Beispiel die lebenslange Arztnummer, die Betriebsstättennummer oder das Kassen-IK. Soweit dies der Fall ist, sind Retaxationen dennoch ausgeschlossen, es sei denn die ergänzenden Verträge sehen diese Rechtsfolge ausdrücklich vor.

Nicht explizit genannt, aber dennoch erfasst ist der Vertragsarztstempel. Zwar verlangen AMVV und BtMVV Angaben, die regelmäßig Teil des Vertragsarztstempels sind, es bleibt nach diesen Vorschriften aber die Form offen, in welcher die Angaben auf dem Rezept aufzubringen sind. Das Aufbringen in Form des Vertragsarztstempels ist laut AMVV und BtMVV also nicht zwingend vorgeschrieben. Diesen verlangen jedoch in der Regel die ergänzenden Verträge. Aufgrund der Regelung im zweiten Spiegelstrich kann ein fehlender oder fehlerhafter Stempel jedoch künftig auch insoweit nur noch unter der – vermutlich selten vorliegenden – Voraussetzung eine Beanstandung rechtfertigen, dass diese Rechtsfolge ausdrücklich im Vertrag vorgesehen ist.

Wenn der Kommentar zum Rahmenvertrag auf den Vertragsverhandlungen mit den GKV-Kassen beruht – wovon die Apotheken hoffentlich ausgehen dürfen – dann wäre im vorliegenden Fall eine Beanstandung nicht zulässig.

Die Rezeptprüfung der DAK berief sich in ähnlichen Fällen auf ein älteres Urteil des LSG Celle vom 27.11.2014, welches ihre Auffassung „in vollem Umfang“ bestätigen würde:
(LSG Celle, AZ L 1/4 KR 47/13; SG Lüneburg, S 16/KR 148/11).
Bei diesem Urteil handelt es sich jedoch um ein nicht veröffentlichtes privates Urteil, welches zudem nicht in vollem Umfang vergleichbar ist, da es sich damals um ein T-Rezept mit besonderen Sicherheitsanforderungen handelte. Würde sich im Gegenzug eine Apotheke auf ein nicht öffentliches privates Urteil berufen, so würde dieses erfahrungsgemäß als nicht verbindliches Einzelurteil bei der Rezeptprüfung nicht berücksichtigt werden.

Daher besteht hier dringend Bedarf an einer verbindlichen vertraglichen Vereinbarung, denn:

  • Die meist hohen Retaxbeträge sind unverhältnismäßig und für die meisten Apotheken finanziell kaum verkraftbar.
  • Es ist nicht akzeptabel, dass ausschließlich die Apotheken für in der Arztpraxis entstandene „Fehler“ haften.
  • Kann die Apotheke durch eine nachträgliche ärztliche Bestätigung den Verordner nachweisen oder ist dieser durch seine Unterschrift und die Arztnummer auch für die Krankenkasse eindeutig erkennbar, müssen solche Retaxationen auch nachträglich „heilbar“ sein. Dies entgegen allen rechtlichen Gepflogenheiten auch ohne vertragliche Vereinbarung grundsätzlich auszuschließen, ist nicht akzeptabel.
  • Verordner und Patient sind im Rahmen einer Dauertherapie (Karzinom/Sarkombehandlung) der eigentlich leistungspflichtigen Krankenkasse schon durch vorangegangene Verordnungen bekannt.
  • Der Patient wurde pharmazeutisch korrekt versorgt.
  • Es gab keinerlei Probleme bezüglich der Arzneimittelsicherheit des Patienten und der Krankenkasse entstand kein wirtschaftlicher Nachteil.

Den Krankenkassen bietet der neue Rahmenvertrag in § 3 ohnehin die Möglichkeit, unter solchen Voraussetzungen auf eine Retaxation zu verzichten. Krankenkassen die selbst in begründeten Fällen diese Möglichkeit grundsätzlich nicht nutzen, müssen ggf. durch das Schiedsgericht oder den Gesetzgeber erneut in die Pflicht genommen werden.

DAP – Retaxforum – Dieter Drinhaus 

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