Das fehlende BtM-„A“ sorgt wieder für Retaxationen

Das „A“ auf BtM-Verordnungen soll der Apotheke signalisieren, dass dem verordnenden Arzt bewusst ist, dass er mit seiner Verordnung die für das verordnete Betäubungsmittel (BtM) festgelegte reguläre Höchstmenge innerhalb von 30 Tagen überschritten hat.

Nun hat diese Schutzvorschrift leider einige Schwachstellen, da letztlich nur die Krankenkasse des Patienten den Gesamtüberblick hat,

  • welche BtM ihr Versicherter in den letzten 30 Tagen bezogen hat,
  • welche Ärzte für diese Verordnungen konsultiert wurden und
  • in welchen Apotheken diese eingelöst wurden.

Besonders wenn ein/e Patient/in über längere Zeit mit einem BtM versorgt wird, wird in der Arztpraxis nicht selten übersehen, bei Höchstmengenüberschreitung das laut BtMVV vorgeschriebene „A“ auf der Verordnung anzubringen. Auch in der versorgenden Apotheke fällt es bei regelmäßig versorgten Dauerpatienten leider nicht immer auf, wenn das „A“  in der Arztpraxis einmal nicht vermerkt wurde.

Dass die Apotheke als zusätzliche Kontrollinstanz der ärztlichen Verordnungen vorgesehen wurde, ist im Regelfall nicht zu beanstanden. Dass jedoch ausschließlich die Apotheke finanziell zur Verantwortung gezogen wird, wenn die Arztpraxis die vorrangig an sie gerichtete BtM-Verschreibungsverordnung nicht beachtet, ist nicht akzeptabel. Dies gilt insbesondere, wenn belegt werden kann, dass weder die Arzneimittelsicherheit beeinträchtigt wurde noch der Krankenkasse ein wirtschaftlicher Nachteil entstanden ist.

Genau deshalb wurde nach den Vorgaben der Schiedsstelle im Auftrag des Gesetzgebers im neuen Rahmenvertrag Folgendes vereinbart:

DAV-Kommentar zu § 3 des Rahmenvertrags nach § 129 Absatz 2 neu gefasst durch Schiedsspruch gemäß § 129 Absatz 4 Satz 2 SGB V mit Wirkung ab dem 1. Juni 2016

§ 3 Absatz 1 Der Vergütungsanspruch, Satz 2 Ausschluss von Retaxationen, Spiegelstrich 1 – Ergänzende Verträge

„Die Regelung ermöglicht es, in ergänzenden Verträgen nach § 129 Absatz 5 SGB V, über die im Rahmenvertrag nach § 129 Absatz 2 SGB V aufgeführten Ausschlüsse von Beanstandungen hinaus, das Entstehen des Vergütungsanspruchs der Apotheke vorzusehen. Auch Fehler, die in Satz 2 nicht explizit angesprochen werden, können demnach unbeachtlich sein.

Ein ergänzender Vertrag könnte etwa über die Ziffer 6 des Rahmenvertrags hinaus vorsehen, dass Beanstandungen auch dann unterbleiben, wenn die Apotheke bei Abgabe eines Betäubungsmittels das Fehlen ärztlicher Angaben gemäß § 9 BtMVV übersieht. Zu denken wäre hier beispielsweise an die Buchstaben „A“ gemäß § 2 Absatz 2 Satz 2 oder „S“ gemäß § 5 Absatz 4 BtMVV.

Da diese Kommentar­vereinbarung zum neuen Rahmenvertrag auch eineinhalb Jahre nach Inkrafttreten des neuen Rahmenvertrags noch keinen Einzug in die regionalen Ergänzungs­verträge gefunden hat, wird sie von einigen bekannten Krankenkassen auch nicht berücksichtigt.

Begründete Einsprüche gegen solche Retaxationen wurden je nach Sachbearbeiter bisweilen stattgegeben, in der Regel jedoch abgelehnt und dies sogar von ein und derselben Krankenkasse.

Daher erreichen uns seit unserem Retax-Newsletter vom 24.08.2017 ständig neue Retaxationen und deren Einspruchs­ablehnungen – auch gegenüber den vertretenden Apothekerverbänden – zu diesem Thema.

Den retaxierenden Krankenkassen sind natürlich auch die entsprechenden Rahmen­vertrags­vereinbarungen zum Schutz gegen Form­retaxationen und die BtMVV bekannt.

Auszug aus § 9 Abs. BtMVV

(1) Auf dem Betäubungsmittelrezept sind anzugeben: […] 6. in den Fällen des § 2 Abs. 2 Satz 2 und des § 4 Abs. 2 Satz 2 der Buchstabe "A", in den Fällen des § 5 Absatz 6 Satz 3 und § 5a Absatz 1 Satz 1 der Buchstabe "S", in den Fällen des § 5 Absatz 8 Satz 5 zusätzlich der Buchstabe „Z“, in den Fällen des § 5 Absatz 9 Satz 7 zusätzlich der Buchstabe „T“, in den Fällen des § 7 Abs. 5 Satz 3 der Buchstabe "K", in den Fällen des § 8 Abs. 6 Satz 5 der Buchstabe "N" […]

(2) Die Angaben nach Absatz 1 sind dauerhaft zu vermerken und müssen auf allen Teilen der Verschreibung übereinstimmend enthalten sein. Die Angaben nach den Nummern 1 bis 8 können durch eine andere Person als den Verschreibenden erfolgen. Im Falle einer Änderung der Verschreibung hat der verschreibende Arzt die Änderung auf allen Teilen des Betäubungsmittelrezeptes zu vermerken und durch seine Unterschrift zu bestätigen.

12 (2) BtMVV

(2) Bei Verschreibungen und Verschreibungen für den Stationsbedarf, den Notfallbedarf und den Rettungsdienstbedarf, die einen für den Abgebenden erkennbaren Irrtum enthalten, unleserlich sind oder den Vorschriften nach § 9 Abs. 1 oder § 11 Abs. 1 nicht vollständig entsprechen, ist der Abgebende berechtigt, nach Rücksprache mit dem verschreibenden Arzt, Zahnarzt oder Tierarzt Änderungen vorzunehmen. […]

2 BtMVV „Verschreiben durch einen Arzt“

(2) In begründeten Einzelfällen und unter Wahrung der erforderlichen Sicherheit des Betäubungs­mittel­verkehrs darf der Arzt für einen Patienten, der in seiner Dauer­behandlung steht, von den Vorschriften des Absatzes 1 hinsichtlich

  1. der Zahl der verschriebenen Betäubungsmittel und
  2. der festgesetzten Höchstmengen

abweichen. Eine solche Verschreibung ist mit dem Buchstaben "A" zu kennzeichnen.

Vorgaben zum Zeitpunkt der erforderlichen Ergänzung finden sich jedoch nur im § 8 (6) BtMVV bei Notfall­verordnungen.

8 (6) BtMVV

(6) […] Die Apotheke hat den verschreibenden Arzt, Zahnarzt oder Tierarzt unverzüglich nach Vorlage der Notfall-Verschreibung und möglichst vor der Abgabe des Betäubungsmittels über die Belieferung zu informieren.

Hier gibt der Gesetzgeber zu erkennen, dass bei dringender Versorgung die Information des Arztes auch unverzüglich nach der Versorgung erfolgen kann. Leider fehlt eine entsprechende Ermächtigung der Apotheke für die §§ 9 und 12 BtMVV, sodass die Retaxprüfstellen jede Bestätigung nach der Versorgung des Patienten meist ablehnen, selbst wenn diese durch den Arzt oder durch den Patienten erfolgen.

Die Vereinbarung im Rahmenvertrag wird zwar anerkannt, jedoch nur wenn eine fehlende Kennzeichnung in Rücksprache vor der Abgabe „geheilt“ wird und dieses von der Apotheke auf der Verordnung notiert wird. Da Therapien in kürzester Zeit geändert werden können, spielt es dabei auch keine Rolle, ob der Patient seit Monaten oder Jahren die gleiche Wirkstoffmenge bekommt.

Eine nachträgliche Heilung wird nicht anerkannt:

Ähnlich ablehnend argumentiert auch die DAK, von der wir jedoch auch schon eine Einspruchsanerkennung in gleicher Sache erhalten haben.

Leider gehörte die nachfolgend retaxierte Apotheke nicht zu den anerkannten (angeblich Einzelfall-)Einsprüchen, sie musste mit circa 1.600 Euro für den Verordnungsfehler des Arztes haften, obwohl dieser sein Versehen und die vor der Abgabe erfolgte Rücksprache schriftlich bestätigte, was die Apotheke jedoch nicht auf der Verordnung vermerkte.
Da weder die Arzneimittelsicherheit gefährdet war, noch der Krankenkasse ein finanzieller Schaden entstanden ist, bat die betroffene Apotheke unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit auf diese Retax „pädagogischer Art“ zu verzichten und die beigebrachten Arztbelege zu berücksichtigen:

In diesem Einspruch wurde auch auf die Berichterstattung im DAP Retax-Newsletter, auf die damalige Einspruchsanerkennung und auf die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Apotheke und Krankenkasse zum Wohle ihrer Patienten hingewiesen:

Angesichts der Unverhältnismäßigkeit dieser Retaxation, bei der weder dem Patienten, noch seiner Krankenkasse, der DAK, Schaden zugefügt wurde, hätte sich die Rezeptprüfstelle gemäß § 3 Rahmenvertrag entgegenkommend zeigen und auf die Retaxation verzichten können. Stattdessen vertrat die Krankenkasse erneut ihren Standpunkt und teilte vorbeugend mit, dass sie weitere Einsprüche in dieser Angelegenheit nicht mehr beantworten werde.

Was bleibt ist die Erkenntnis, dass es bei manchen Krankenkassen in solchen Fällen wohl nicht zu einer Einigung zwischen den Apotheken und den Kassen kommen wird und dass eine entsprechende, retaxsichere, vertragliche Vereinbarung nach eineinhalb Jahren auch wohl in den ergänzenden Verträgen nicht durchgesetzt werden kann.

Müssen die letztlich betroffenen Patienten erneut die Medien einschalten, um wieder eine öffentliche Diskussion über die amtsanmaßenden Retaxationen Ende 2011 zu beginnen, die damals erst einigermaßen beigelegt wurden, als die Gefahr bestand, die Versorgung der BtM-Patienten lahm zu legen?

Oder muss die Schiedsstelle oder ein ordentliches Gericht erst entscheiden, dass Krankenkassen keine Aufsichtsbehörden der Apotheken sind, diese Retaxationen rechtsmissbräuchlich sind, weil sie nicht dem Geist des Rahmenvertrags entsprechen und eine begründete nachträgliche „Heilung“ ärztlicher Verordnungsfehler nicht generell untersagt werden kann?

DAP – Retaxforum – Dieter Drinhaus

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