Apotheke muss ungenaue ärztliche Verordnung bezahlen

Eineinhalb Jahre nach der ersten Rahmenvertrags-Neufassung seit Schiedsvertrag müssen die Mitglieder des DAP-Retaxforums leider feststellen, dass der Wille zu einer entbürokratisierten, problemloseren Patientenversorgung mit Verzicht auf „Formretaxationen“ wenig Umsetzung in der täglichen Retaxpraxis gefunden hat. Die Hoffnung, dass auch Krankenkassen, die bisher nicht für einen moderaten Umgang mit Retaxationen bekannt waren, nun die neuen Vertragsregelungen für einen partnerschaftlichen Umgang nutzen würden, hat sich leider nicht erfüllt.

Es verfestigt sich leider eher der Eindruck, dass auch Krankenkassen, die bisher für eine gesprächsbereite Retaxklärung geschätzt waren, nun ebenfalls einspruchserhebenden Apotheken mitteilen, dass ihnen lediglich die Möglichkeit bliebe, die Retax zu akzeptieren oder Klage zu erheben.

Als besonders unfair empfinden wir es, wenn – wie im nachfolgenden Fall – ausschließlich die Apotheke für „fehlerhafte“ ärztliche Verordnungen zur Kasse gebeten wird und die Krankenkasse jede nachträgliche, unabhängige Klärung durch Arzt, Patient oder Pflegepersonal untersagt:

Krankenkasse: AOK Bayern (IK 108310400)
Verordnet:  10 St. Suprasorb P 15 x 15
10 St. Suprasorb P 7,5 x 7,5
Abgabedatum: 06.03.2017

Die betroffene Apotheke hat den Patienten in Dauerbehandlung seit Anfang 2016 alle 14 Tage mit

  • Suprasorb P silicone Schaumverband border 15 x 15, PZN 00724169, 2 x 5 St. und
  • Suprasorb P silicone Schaumverband border 7,5 x 7,5, PZN 00724063, 2 x 5 St. versorgt.

Daher wurde er auch bei dieser Verordnung mit seinen benötigten Verbandmitteln versorgt, ohne dass dabei auffiel, dass die ärztliche Verordnung diesmal nicht vollständig und daher nicht mehr eindeutig war.

Dies nahm die AOK Bayern zum Anlass, der Apotheke die ihr seit Monaten bekannte, bisherige Versorgung ihres Versicherten nicht mehr zu bezahlen:

Auch ein Einspruch der Apotheke mit den folgenden Anlagen wurde nicht anerkannt:

  • Bestätigung des Arztes, dass die abgegebenen Verbandstoffe korrekt und ärztlich gewünscht waren
  • Bestätigung des betreuenden Pflegedienstes, dass wie benötigt versorgt wurde
  • Begründung mit Hinweis auf § 3 Rahmenvertrag, dass die Versorgung zwar formal unvollständig war, jedoch weder die Wirtschaftlichkeit, noch die Arzneimittelsicherheit beeinträchtigt waren

Auszug aus dem Rahmenvertrag:

3 Abs. 1 Rahmenvertrag

„Der Vergütungsanspruch des Apothekers entsteht trotz nicht ordnungsgemäßer vertragsärztlicher Verordnung oder Belieferung dann, wenn […] es sich um einen unbedeutenden, die Arzneimittelsicherheit und die Wirtschaftlichkeit der Versorgung nicht wesentlich tangierenden, insbesondere formalen Fehler handelt.“

Da eine unvollständige ärztliche Verordnung nicht in der beispielhaften nachfolgenden Aufzählung behandelt wird (Aufzählung nach dem oben genannten Zitat: „Dies ist insbesondere der Fall, wenn […]“), wurde der Einspruch der Apotheke nicht akzeptiert. Dies, obwohl der Kommentar des DAV zum Rahmenvertrag ausdrücklich darauf hinweist, dass es sich bei den genannten Beispielen nicht um eine abschließende Aufzählung handelt:

Kommentar zu § 3 Abs. 1 Rahmenvertrag, Spiegelstrich 3: Einzelfallentscheidung der Kasse

„Diese Regelung eröffnet der Krankenkasse die Möglichkeit, im Einzelfall auch dann von einer Beanstandung abzusehen, obwohl sie dazu gemäß vertraglicher Vorgabe berechtigt wäre, d. h. wenn keine Ausnahme nach Satz 2 des Rahmenvertrags gegeben ist.“

Dieser Einzelfall kam hier jedoch nicht zu Anwendung. Stattdessen beruft sich die Krankenkasse in ihrer Ablehnung darauf, dass ein Entgegenkommen der Kasse nach ihrem Vertragsverständnis nur möglich sei, wenn die Apotheke einen erkennbaren Irrtum „nach Rücksprache mit dem verordnenden Arzt korrigiert oder ergänzt“ habe. Dies müsse jedoch „vor der Abrechnung“ erfolgen. Eine nachträgliche Heilung im Beanstandungsverfahren sei grundsätzlich nicht vorgesehen: 

Somit wurden auch die nachträglich beigebrachten Bestätigungen nicht anerkannt. Zudem wurde nochmals betont, dass es weder erlaubt sei, bei Nichterstattung ihren Versicherten zu belasten, noch durch eine neu ausgestellte Verordnung die Retaxation zu heilen. Nach Meinung der retaxierenden AOK bliebe der Apotheke nur die Möglichkeit, die Retax „hinzunehmen“ oder den Rechtsweg zu beschreiten:

Da die Verordnungen wie erwähnt in 14-tägigen Abständen erfolgten, wurde die Apotheke gleich noch mit zwei weiteren Retaxationen dieser Art versorgt, bevor sie die Möglichkeit hatte, den Verordnungsfehler der Arztpraxis korrigieren zu lassen.

Angesichts des bevorstehenden Weihnachtsfestes hätte ich gerne über eine Retaxation berichtet, in der eine Krankenkasse auf eine vertraglich berechtigte Retaxbelastung verzichtet hat, aber leider hat sich keine Apotheke gemeldet, die solchermaßen beschert wurde.

Dennoch wünsche ich Ihnen ein erholsames, retaxfreies Weihnachtsfest, was selbstlos auch die Mitarbeiter/innen der Retaxstellen einschließt.

DAP – Retaxforum – Dieter Drinhaus

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