Akutversorgung im Notdienst retaxiert

Die Intention des gesetzlichen Schiedsverfahrens und dessen diesbezüglich vereinbarten Rahmenvertrags zur Arzneimittelversorgung war es, eine problemlosere, weniger retaxbedrohte Patientenversorgung durch eine möglichst weitgehende Entbürokratisierung zu ermöglichen. Leider sollten die Skeptiker Recht behalten, die die anfängliche Euphorie nicht teilten. Denn schon bald stellte sich heraus, dass diese Absichtsbekundungen keine wesentliche Umsetzung in der praktischen Patientenversorgung zur Folge hatten. Nach wie vor erreichen das DAP zahlreiche Retaxationen, die sich die Krankenkassen beziehungsweise deren Rezeptkontrolleure sparen könnten, ohne dass die Arzneimittelsicherheit oder die Wirtschaftlichkeit darunter leiden würden.

Besonders ärgerlich sind dabei Retaxationen der Notdienstversorgung, da diese angesichts der erweiterten Arzneimittelbevorratung und des häufig erforderlichen Bereithaltens zusätzlichen pharmazeutischen Personals (z. B. falls bettlägerige Patienten nicht mehr selbst in der Lage sind, die Apotheke aufzusuchen), Kosten in Höhe von mehreren Hundert Euro verursachen. Obwohl die „Notdienstgebühr“ besonders bei niedrig frequentierten Landapotheken daher allenfalls als symbolischer Kostenbeitrag angesehen werden kann, nutzen manche Rezeptprüfstellen dennoch jeden Formfehler, um sich die 2,50 € zu sparen und, falls im Notdienst auch eine nicht rabattkonforme Versorgung erforderlich war, ebenfalls die Erstattung der Arzneimittelkosten.

Die nachfolgende Retaxation zeigt, dass der „gesunde Menschenverstand“ hier getrost die nicht vollständig erfüllten formalen Vorgaben ersetzen könnte, ohne dass hierdurch ein „Schaden“ entstanden wäre:

Krankenkasse: KKH (IK 104075509)
Verordnung:Dexa Gentamycin AS
Verordnungs- und Abgabedatum:04.02.2018

Zudem war auf der Verordnung auch das „Noctu-Kreuz“ angebracht, was auf dem Rezeptimage leider nicht mehr richtig ersichtlich ist.

Hierzu schrieb die betroffene Apotheke an das DAP-Team:

„In einem Notdienst belieferten wir das oben ausgestellte Rezept mit dem verordneten Medikament. Die Abgabe des rabattierten Artikels war aufgrund der wiederholten Verordnung [an diesem Abend] nicht mehr möglich. Wir werden retaxiert mit der Begründung:

„Es erfolgte keine Abgabe eines rabattbegünstigten Arzneimittels (§ 130a Abs. 8 SGB V und § 4oder § 5 nach § 129 Abs. 2 SGB V).“

Wir sind irritiert und bitten um Hilfestellung.“

Rabattiert war zum Versorgungszeitpunkt:

Da der Rabattartikel aufgrund wiederholter Verordnungen nicht mehr vorrätig war, musste die Apotheke die ärztlich verordnete Augensalbe abgeben, um den Notfall zu versorgen. Offenbar war man der Meinung, dass

  • das „Noctu-Kreuz“,
  • die aufgedruckte Abgabezeit „Noctu 12:46“ und nicht zuletzt
  • das Verordnungs- und Abgabedatum „04.02.2018“, welches auf einen Sonntag hinweist,

ausreichend deutlich machen, dass es sich um eine „Akut-/Notdienstversorgung“ handelte.

Aber weit gefehlt, denn auf der Verordnung fehlte der Rezeptprüfstelle offensichtlich die „Sonder-PZN 02567024 mit Faktor 511“ für die Nichtabgabe eines Rabattarzneimittels aufgrund einer „Akutversorgung“. Und daher wurde der Apotheke, trotz der durchaus erkannten Notdienstversorgung, nicht nur die Erstattung des Medikaments verweigert, sondern auch die „Notdienstgebühr“:

Dies mag formal berechtigt sein, aber angesichts der Umstände hätte man gemäß § 3 Abs. 1 Punkt 7. c. (3) Rahmenvertrag durchaus auf eine Retax verzichten können:

3 Zahlungs- und Lieferanspruch

„(1) Der durch Normverträge näher ausgestaltete gesetzliche Vergütungsanspruch des Apothekers entsteht im Gegenzug für die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Leistungspflicht mit Belieferung einer gültigen ordnungsgemäßen vertragsärztlichen Verordnung. Der Vergütungsanspruch des Apothekers entsteht trotz nicht ordnungsgemäßer vertragsärztlicher Verordnung oder Belieferung dann, wenn […]
7. bezogen auf den Rahmenvertrag […]
c. die Apotheke in den Fällen des § 4 Absatz 2 Satz 2 (Nichtverfügbarkeit), des § 4 Absatz 3 Sätze 1 und 2 (Akutversorgung, Notdienst) sowie des § 4 Absatz 3 Satz 2 i. V. m. § 17 Absatz 5 ApBetrO (pharmazeutische Bedenken) dieses Vertrages
(1) entweder nur das vereinbarte Sonderkennzeichen oder
(2) nur einen Vermerk auf der Verordnung aufträgt oder
(3) im Fall, dass Vermerk und Sonderkennzeichen auf der Verordnung fehlen, einen objektivierbaren Nachweis im Beanstandungsverfahren erbringt.“

In § 3 Abs. 1 Punkt 7. c. (3) Rahmenvertrag ist also vorgesehen, dass selbst im Fall, dass die Rezeptprüfungsstelle Sonderkennzeichen und Vermerk (hier = Noctu-Aufdruck) nicht anerkennt, eine Retaxrücknahme noch im „Beanstandungsverfahren“ vorzunehmen ist.

Sollte also dem Einspruch der Apotheke nicht stattgegeben werden, dann werden wir notgedrungen nochmals darüber berichten müssen, dass manche Prüfstellen die Vereinbarung des GKV-Spitzen­verbandes offenbar nicht umsetzen wollen.

Bleibt wie so oft die Frage, ob diese Vereinbarung nur in den Rahmen­vertrag aufgenommen wurde, um das Schiedsgericht und den Gesetzgeber zufrieden zu stellen, oder ob schon jemals eine Apotheke davon „profitieren“ konnte? Lassen Sie es mich wissen, denn ich würde hier gerne auch über positive „Retax­beispiele“ berichten.

Apotheker Dieter Drinhaus, DAP Forum

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