Neue Ansätze zur Behandlung der Multiplen Sklerose

Multiple Sklerose (MS) stellt eine der häufigsten Erkrankungen des Nerven­systems dar. Durch Demyelinisierung von Nerven­fasern kommt es zur fort­schreitenden Pathogenese mit unter­schiedlichen Symptomen, die für Betroffene zum Teil mit starken Lebens­einschränkungen assoziiert sind. Individuelle Therapie­regime und vor allem eine frühe Diagnose verbessern das Krank­heits­bild deutlich, auch wenn eine Heilung bislang nicht möglich ist. Eine neue ziel­gerichtete Therapie könnte durch die Forschungs­arbeit um das Team von Prof. Dr. Lucas Schirmer entstehen.

In Deutschland leben rund 280.000 Menschen mit Multipler Sklerose. Jährlich erkranken etwa 15.000 Menschen neu, die Tendenz ist steigend. Symptome und Verlauf der Erkrankung sind stark heterogen – nicht umsonst wird sie auch als „die Krankheit mit den 1.000 Gesichtern“ betitelt.

Obwohl die Ätiologie noch nicht eindeutig bekannt ist, werden immer mehr neue Therapiestrategien entwickelt, um den progredienten Verlauf der MS wenigstens zu verlangsamen. Wirft man einen Blick auf die aktuelle Pipeline neuer Medikamente, fällt auf, dass es sich meist um Arzneistoffe handelt, die bereits bekannte Targets ansprechen; gänzlich neue Ansätze stecken meist noch in den Kinderschuhen.

Ein neues Target konnte das Forschungsteam von Prof. Dr. Lucas Schirmer vorstellen: Entlang eines Axons gibt es winzige Unterbrechungen der Myelinscheide, die als Ranvier-Schnürringe bezeichnet werden. An diesen Strukturen werden Aktions­potenziale vor allem durch die Kaliumkanäle Kv7 und Kir4.1 reguliert. Bei Multipler Sklerose ist die Regulation dieser Kaliumkanäle gestört, sodass es zu einer chronischen Übererregbarkeit einzelner Neuronen kommt, wodurch diese sukzessive aufgrund der metabolischen Erschöpfung absterben.

Im Human- und Tiermodell konnte Retigabin durch Agonismus am Kv7-Kanal die Erregbarkeit der Neuronen reduzieren und so im Tiermodell bereits die klinische MS-Symptomatik verbessern.1 Das Besondere an dieser Entdeckung: Eine Entwicklung hin zum Medikament würde die erste kausale Therapie darstellen, die direkt auf die neuronale Dysregulation abzielt.
 


1 Hannah Kapell et al. Neuron-oligodendrocyte potassium shuttling at nodes of Ranvier protects against inflammatory demyelination. DOI: 10.1172/JCI164223

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