Orphan Drugs: Selten und wichtig

Am 29. Februar war der Tag der seltenen Erkrankungen. Das Datum ist kein Zufall: Das selten vorkommende Datum steht in Einklang mit der Bedeutung des Tages, der auf seltene Leiden wie Mukoviszidose oder Leukämie aufmerksam macht. Die besonders kleinen Patientengruppen haben mit vielen Herausforderungen zu kämpfen, wie langen Leidenswegen bis zur Diagnose oder fehlenden Therapieoptionen. Um Pharmaunternehmen die Entwicklung von Arzneimitteln zur Behandlung seltener Leiden (Orphan Drugs) zu erleichtern, gibt es seit etwa 20 Jahren den Orphan-Drug-Status, der von der EMA (European Medicines Agency) vergeben wird.

Kriterien für den Orphan-Drug-Status

Um den Status zu erhalten, müssen folgende Kriterien erfüllt sein:

  • Das Arzneimittel dient der Diagnose, Vorbeugung oder Behandlung einer Krankheit, die lebensbedrohlich ist oder zu einer chronischen Behinderung führt, oder es ist unwahrscheinlich, dass das Arzneimittel wirtschaftlich vermarktet werden kann, und
  • die Krankheit darf nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen in der EU betreffen und
  • es existieren keine ausreichenden Methoden zur Diagnose, Vorbeugung oder Behandlung der Krankheit oder, wenn bereits eine solche Methode existiert, das Mittel hat einen signifikanten Zusatznutzen für die Betroffenen.

Der Orphan-Drug-Status führt nicht zu einer beschleunigten Zulassung, bietet dem Pharmaunternehmen aber mehrere Vorteile. Dazu gehören wissenschaftliche Unterstützung bei den Studienprotokollen, geringere Gebühren und der Zugang zu EU-Zuschüssen. Arzneimittel mit Orphan-Drug-Status, die es in den Markt geschafft haben und für die der Unternehmer zeigen kann, dass sie die Kriterien für den Status erfüllen, haben 10 Jahre lang Marktexklusivität. Nach 5 Jahren im Markt wird überprüft, ob der Status für das Medikament noch zutrifft.

Wann ist eine Erkrankung eine seltene Erkrankung?

Eine Erkrankung wird als selten klassifiziert, wenn weniger als 5 von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind. Über 6.000 seltene Erkrankungen sind bekannt. Beispiele sind spinale Muskelatrophie mit etwa 21.000 Erkrankten in der EU, Mukoviszidose, Leukämie und Hämophilie B. Laut EMA hat einer von 17 Menschen in der EU eine seltene Erkrankung.

Nutzenbewertung von Orphan Drugs

Für zugelassene Arzneimittel mit Orphan-Drug-Status gilt der Zusatznutzen gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie/-intervention grundsätzlich als anerkannt. Dennoch muss der Hersteller, wie alle anderen Arzneimittelhersteller auch, ein Dossier für die Nutzenbewertung beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) einreichen, das der Quantifizierung des Zusatznutzens dient. Auch die Verhandlungen zum Erstattungsbetrag sind Pflicht.

Bei einem Jahresumsatz von 50 Millionen Euro oder mehr wird das Arzneimittel wie ein übliches Arzneimittel behandelt und muss das reguläre AMNOG-Verfahren inklusive Erstattungsbetrag-Verhandlung durchlaufen.

GSAV bringt Änderungen für Orphan Drugs

Mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) wurde 2019 beschlossen, dass der G-BA den Hersteller eines Orphan Drugs auffordern kann, anwendungsbegleitende Datenerhebungen und Auswertungen zum Zweck der Nutzenbewertung zu liefern. Die Details hierzu arbeitet der G-BA gerade aus. Hintergrund ist, dass der Zusatznutzen der Orphan Drugs häufig nicht quantifiziert werden kann. Laut Rapid Report des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen IQWiG konnte der Zusatznutzen von Orphan Drugs bisher nur für etwa ein Viertel aller Fragestellungen quantifiziert werden. Das IQWiG hat festgestellt, dass sich für die erweiterte Nutzenbewertung der Orphan Drugs hochwertige Patienten-Registerdaten eignen würden (z. B. Hämophilie-Register).

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