Herpesviren gegen Krebs: Erste Studien überzeugen

Eine kürzlich auf einem Kongress der European Society for Medical Oncology (ESMO) vorge­stellte Studie macht Hoffnung auf neue Therapie­optionen für Tumor­patienten, bei denen herkömmliche Behandlungen nicht mehr wirksam sind. Ein modifiziertes Herpes-simplex-Virus (RP2) konnte durch einen dualen Wirk­mechanismus die Größe des Tumors bei einem Drittel der Probanden effektiv verringern. Bei einem Probanden kam es zu einer vollständigen Genesung der Tumor­erkrankung.

Für viele ist es ein lästiger Alltags­begleiter, der immer dann zum Vorschein kommt, wenn man es am wenigsten gebrauchen kann – die Rede ist von Herpes. In den meisten Fällen ausgelöst durch Herpes-simplex-Viren bilden sich, getriggert durch verschiedene Einflüsse, unschöne Herpes­bläschen, die häufig Schmerzen verur­sachen und durch eine lange Abheil­zeit die Ästhetik negativ beeinflussen. Wer hätte gedacht, dass diese Retro­viren einen medizinischen Nutzen haben können?

Eine neue Studie zeigt nun, dass ein modifi­ziertes Herpes-simplex-Virus durchaus spektakuläre Vorzüge in der Krebs­behandlung haben könnte. Forschende des Institute of Cancer Research (ICR) und des Royal Marsden NHS Foundation Trust veröffentlichten die Ergebnisse einer Phase-I-Studie. Dabei erhielten 9 Probanden ausschließlich das modifizierte Virus, während 30 weitere Teilnehmer neben dem Virus eine Immun­therapie mit Nivolumab erhielten. Zu den Krebs­leiden der Patienten zählten unter anderem Haut-, Ösophagus- und Kopf- und Hals-Karzinome. Bei den Patienten wurden bereits andere thera­peutische Maß­nahmen, inklusive Checkpoint-Inhibitoren, aus­probiert, jedoch ohne anhaltenden Erfolg.

Bei 3 der 9 Patienten (33 %), die ausschließlich RP2 erhielten, wurde das Schrumpfen des Tumors fest­ge­stellt. Bei einem Patienten mit Speichel­drüsen­krebs kam es zum voll­ständigen Verschwinden des Tumors. Auch 15 Monate nach der Behandlung ist der Proband noch immer tumor­frei. Zwei weitere Patienten sprachen auch 15 bzw. 18 Monate nach Behandlungs­beginn auf die Therapie an, das Fort­schreiten des Tumors konnte somit gestoppt werden.

Bei den 30 Patienten, die zusätzlich zu RP2 eine Immun­therapie mit Nivolumab erhielten, konnte bei 7 (23 %) eine Verkleinerung des Tumors erzielt werden.

Das modifizierte Herpes-simplex-Virus wird durch direkte Injektion in den Tumor appliziert. In einem dualen Wirk­mechanismus kommt es einerseits zu einer Vermehrung des Virus innerhalb der Tumor­zellen, wodurch diese von innen heraus „auf­platzen“. Anderer­seits blockt es das Protein CTLA-4. CTLA-4 wirkt quasi als Bremse des Immun­systems, um so über­schießende Immun­reaktionen zu verhindern. Durch die Inhibition dieses Ober­flächen­proteins kann das Immun­system verstärkt gegen Tumor­zellen vor­gehen.1

Replimune, der Hersteller des modifizierten Virus, führt weitere Studien zur Sicher­heit und Wirk­samkeit durch, sieht in der neuen Therapie­form angesichts der guten Studien­ergebnisse allerdings großes Potenzial.

 


1 The Institute of Cancer Research: Genetically modified herpes virus delivers one-two punch against advanced cancers. Online verfügbar unter:
https://www.icr.ac.uk/news-archive/genetically-modified-herpes-virus-delivers-one-two-punch-against-advanced-cancers, Stand 09.2022

Bildquelle: Kateryna_Kon – stock.adobe.com