Kommentar von Thomas Noll, PTA, DeutschesApothekenPortal


Und täglich fehlen Artikel mir

Lieferengpässe sind in deutschen Apotheken wirklich keine Seltenheit mehr. Was vor rund eineinhalb Jahren mit vereinzelten Engpässen bei Impfstoffen begann, ufert mehr und mehr zu einer nationalen Krise aus. Wie kann es in einer modernen Wirtschaft zu derartigen Ausfällen kommen? Und was kann dagegen unternommen werden?

Gefühlt kommt jeden Tag ein neuer Artikel hinzu. Apotheker, Ärzte und Patienten sind gleichermaßen frustriert. Und das zu Recht: Es fehlen unzählige Artikel aus allen denkbaren Produktgruppen. Aus einigen Apotheken hört man von Zahlen weit jenseits der 200 nicht verfügbaren Artikel.

Erklärt wird das Problem auf verschiedene Weisen: Mal sollen Rabattverträge, die nur wenige Partner zulassen, in anderen Fällen teure Lagerhaltungskosten schuld sein. Die monopolisierte Herstellung von Arzneimitteln im Ausland, speziell in Südostasien, wird ebenso oft als Argument vorgebracht. All das sind aber nur verschärfende Faktoren, die aus einem Grundproblem resultieren: Kostendruck. In einer Branche, in der die Preise für Arzneimittel vom Gesetzgeber diktiert werden, fällt es allen Beteiligten schwer, mit der erbrachten Leistung eine positive wirtschaftliche Bilanz zu erzielen. Um also die Gewinnspanne zu vergrößern, greifen Unternehmen auf Ausgangsstoffhersteller im Ausland zurück. Die bekanntermaßen günstigere Arbeitskraft führt zu niedrigeren Produktionskosten, obwohl die Ausgangsstoffe quer über den Globus transportiert werden müssen. Meist gibt es für diverse Ausgangsstoffe nur einen Hersteller – zum Beispiel für Valsartan den Konzern Zhejiang Huahai Pharmaceutical – oder aber ein Hersteller stellt eine so beträchtliche Menge her, dass ein Wegfallen der Produktion auch zur Knappheit bei anderen Herstellern führt, wie zum Beispiel bei Ibuprofen, das weltweit nur in sechs Fabriken hergestellt wird, die alle ungefähr den gleichen Marktanteil innehaben. Fällt ein Hersteller weg, können die verbleibenden Firmen das Volumen nicht sofort auffangen, und der Lieferengpass weitet sich von einem Hersteller auf weitere bis alle aus. Ähnliches war zum Beispiel auch bei Valsartan der Fall, als nach Ausfall des Wirkstoffes viele Patienten auf andere Sartane umgestellt wurden. Die darauf nicht vorbereiteten Hersteller konnten die neu entstandene Nachfrage nicht auffangen und auch andere Wirkstoffe, wie zum Beispiel Candesartan, konnten nicht nachgeliefert werden.

Die Lösungsvorschläge für Lieferengpässe sind vielfältig.

Rabattverträge sollen für eine größere Zahl an Partnern eröffnet werden. Ob damit eine Lösung herbeigeführt werden kann, darf allerdings angezweifelt werden. Die derzeitigen Probleme in Apotheken betreffen vor allem Lieferausfälle für alle Wirkstärken und Packungsgrößen eines Wirkstoffes. Ein Zugänglichmachen der Rabattverträge motiviert eventuell eine Mehrproduktion bei den Herstellern, da die Hoffnung besteht, die Artikel kurzfristiger verkaufen zu können. Dazu müssen allerdings zuerst die Ausgangsstofffabriken ausgebaut werden – denn ohne Wirkstoff kann niemand produzieren.

Hersteller sollen verpflichtet werden, größere Vorräte zu lagern, um Wirkstoffengpässe besser auffangen zu können. Dies ist im Prinzip eine gute Idee, um kurzfristig Engpässe überbrücken zu können. Die Betonung liegt hier allerdings auf kurzfristig: Valsartan und Ibuprofen waren und sind zum Beispiel seit mehr als einem Jahr nur bedingt lieferfähig – ein eventuell angelegter Vorrat wäre innerhalb kürzester Zeit verbraucht. Zudem würden höhere Kosten entstehen, die die Hersteller entweder hinnehmen – und damit Marge verlieren – oder auf die Preise der Arzneimittel umlegen, was in einigen Fällen zu Mehrkosten führen könnte.

Ein weiterer Lösungsvorschlag sieht eine Bundesreserve vor. In dieser sollen wichtige Arzneimittel vorrätig gehalten werden. Je nach Umfang und Auswahl der Bundesreserve kann dies eine praktikable Lösung darstellen. Ein groß angelegter Rückruf wie bei Valsartan kann aber wohl kaum von einer Reserve aufgefangen werden, ohne dass die Kosten dafür den Nutzen übersteigen.

Ein Lösungsansatz, an den wenig gedacht wird, besteht in der Verbesserung der Randbedingungen für die Beteiligten: Die Herstellung von Ausgangsstoffen muss auch in Deutschland und anderen EU-Ländern umsetzbar und rentabel sein. Durch das Unabhängigmachen von Mono- und Oligopolen können Lieferengpässe und Rückrufe flexibler aufgefangen werden. Wie bei allen anderen Lösungen auch entstehen hier zwar höhere Kosten, der Nutzen wäre aber langfristig und nachhaltig. Darüber hinaus ist der derzeitige Sparkurs der Politik in einem Sektor wie dem Gesundheitswesen fehl am Platz. Die Gesundheit eines Menschen darf nicht in Centbeträge umgerechnet werden. Der Apotheker Bernhard Eiber hat eine Online-Petition gestartet, in der er dazu aufruft, die Politik bei der Vermeidung von Lieferengpässen einzubinden.

Thomas Noll, PTA, DeutschesApothekenPortal