Retaxationen bei nicht vorliegender Genehmigung für Cannabisverordnung

Bereits Mitte 2016 hatten die Apotheken und die in der Arzneimittelversorgung Verantwortlichen mit der Vereinbarung des neuen Rahmenvertrags gehofft, dass künftig vermehrt die Patientenversorgung und nicht die wirtschaftlichen Interessen einiger Krankenkassen im Vordergrund stehen würden. Mittlerweile hat es einen zweiten Rahmenvertrag (Juli 2019) und zwei Ergänzungen (01.11.19 und 15.12.19) gebraucht und dennoch lassen manche Krankenkassen bzw. deren Rezeptprüfungsdienstleister immer noch keine Gelegenheit verstreichen, selbst bei umstrittenen Versorgungen ihren wirtschaftlichen Vorteil zu suchen und per Retaxation einzutreiben.

Dies trifft auf die derzeit vermehrt in den Apotheken eintreffenden Cannabis-Retaxationen zu: Die durch den Verband der Ersatzkassen vdek und die regionalen RVO-Verträge der Primärkassen unterschiedlich beurteilten Prüfpflichten auf Vorliegen einer Krankenkassengenehmigung lassen zu viel Spielraum für Fehlinterpretationen. Während die Ersatzkassen aus pragmatischen Gründen und im Interesse einer schnellen Versorgung ihrer Versicherten gegenüber den Apotheken vertraglich auf eine Genehmigungsprüfpflicht durch die Apotheken verzichteten, konnten sich die übrigen Kassen bisher weder in Regionalverträgen noch im GKV-Rahmenvertrag zu einer diesbezüglichen vertraglichen „Bestätigung“ durchringen.

Nachfolgend nur eine von mehreren Retaxationen, die das DAP-Team aktuell erreicht haben.

Da die Rezeptkopie leider schwer lesbar ist, hat uns die betroffene Apotheke die Verordnung nochmals schriftlich bestätigt:

Kostenträger: pronova BKK (IK 106492393)
Versorgungsdatum:19.01.19
Verordnet mit „A“ und „gemäß schriftlicher Anweisung“

Obwohl die Versorgungsgenehmigung der pronova BKK bei Absendung der Retaxation längst vorgelegen haben musste, da die Genehmigung wegen Überschreitung der gesetzlichen Genehmigungsfristen ansonsten als „fiktive Genehmigung“ gelten würde, war dies bei Versorgung des Patienten angeblich noch nicht der Fall.

Daher wurde die Versorgung des Pronova-Versicherten der Apotheke nicht vergütet:

Hier sollte die retaxierte Apotheke in der Tat nachfragen, weshalb keine Genehmigung der Kasse vorlag:

  • Hat der verordnende Arzt versäumt die erforderliche Genehmigung vor seiner Verordnung einzuholen?
  • Oder gab es einen gesetzlich zulässigen Grund für die pronova BKK die Genehmigung zu verweigern?
  • Oder handelt es sich hierbei lediglich um eine geringfügige zeitliche Überschneidung zwischen medizinisch erforderlicher Verordnung und Eingang der Kassengenehmigung?
  • Oder war eine ärztlich beantragte „Erst“-Genehmigung wegen Überschreitung der gesetzlichen Genehmigungsfristen bereits als „fiktiv“ genehmigt anzusehen?

Die Genehmigung einer Cannabis-/Cannabinoidverordnung ist innerhalb von drei Wochen, bei Einschaltung des Medizinischen Dienstes innerhalb von fünf Wochen, zu erteilen. Eine verkürzte Genehmigungsfrist von drei Tagen gilt, wenn es sich um eine Verordnung des SAPV (Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung) handelt. Laut Gesetz darf der Kostenträger die Genehmigung nur in begründeten Ausnahmefällen ablehnen.

Zudem bleibt offen,

  • weshalb für diesen Verstoß gegen die ärztlichen Verordnungs- bzw. Genehmigungsvorschriften finanziell wieder einmal die Apotheke haften muss,
  • ob hier ausschließlich die Apotheke, oder zusätzlich auch die Arztpraxis in Regress genommen wurde,
  • worauf die Rezeptprüfstelle die Legitimation begründet, in solchen Fällen den Apotheken die Vergütung ihrer erbrachten Versorgung zu verweigern, da der Kasse weder ein Schaden entstanden ist, noch in den Apotheken-Arzneiversorgungsverträgen eine Prüfpflicht auf die vorhandene Kassengenehmigung enthalten ist.

Dies wurde auch stets von den Standesorganisationen und vom DAP so mitgeteilt, verbunden mit dem Rat trotzdem vorsorglich nach dem Vorliegen einer Genehmigung zu fragen, da solche Retaxationen einzelner Kassen zu befürchten waren.

Da die Apotheke bei Cannabisverordnungen ohnehin eine Vielzahl von gesetzlichen bzw. vertraglich vereinbarten Vorschriften zu beachten hat (siehe DAP Arbeitshilfen und DAP Dialog), sollten sich auch die  RVO-Kassen davon überzeugen lassen, dass eine entsprechende Vereinbarung, wie die der vdek-Kassen, auch der Versorgung ihrer Versicherten zugutekäme, die bereits ausgesprochenen Retaxationen ohne Rechtsstreit zurückzunehmen und bis dahin auf weitere Retaxationen zu verzichten.

Oder wollen die Primärkassen nicht auf diese ohnehin umstrittene Retaxmöglichkeit verzichten und dafür in Kauf nehmen, dass ihre Versicherten erst nach ihrer Kassengenehmigung suchen müssen, bevor sie von den Apotheken versorgt werden dürfen?

Apotheker Dieter Drinhaus, DAP Forum

Neuen Kommentar schreiben

Sie müssen angemeldet sein, um die Kommentarfunktion nutzen zu können.

DAP Newsletter

Immer aktuell informiert mit dem DAP Newsletter: zur Newsletter-Anmeldung