BtM-Retaxationen: Für das fehlende „A“ soll die Apotheke zahlen

Ein Thema, das sich offenbar zunehmend zu einer verlässlichen Retax-Einnahmequelle bei manchen Krankenkassen entwickelt, ist das fehlende „A“ auf BtM-Verordnungen.

Obwohl sich die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) vorranging an den verordnenden Arzt wendet, sind an einigen Stellen zusätzlich auch die Apotheker als Kontrollinstanz eingebunden.

§ 2 der BtMVV nennt ganz klar den Arzt als Adressaten dieser Verordnung.

2 BtMVV „Verschreiben durch einen Arzt“

„(2) In begründeten Einzelfällen und unter Wahrung der erforderlichen Sicherheit des Betäubungs­mittel­verkehrs darf der Arzt für einen Patienten, der in seiner Dauer­behandlung steht, von den Vorschriften des Absatzes 1 hinsichtlich

  1. der Zahl der verschriebenen Betäubungsmittel und
  2. der festgesetzten Höchstmengen

abweichen. Eine solche Verschreibung ist mit dem Buchstaben ‚A‘ zu kennzeichnen.

Bezüglich der Höchstmengenüberschreitung gesteht uns der Verordnungsgeber – und mittlerweile auch unsere Arzneimittelverträge – jedoch auch zu, notwendige klärende Ergänzungen selbst vorzunehmen:

9 BtMVV (Auszug)

„(1) Auf dem Betäubungsmittelrezept sind anzugeben: […] 6. in den Fällen des § 2 Abs. 2 Satz 2 und des § 4 Abs. 2 Satz 2 der Buchstabe ‚A‘ […]

(2) Die Angaben nach den Nummern 1 bis 8 können durch eine andere Person als den Verschreibenden erfolgen. […]“

12 Abs. 2 BtMVV

„(2) Bei Verschreibungen […], die einen für den Abgebenden erkennbaren Irrtum enthalten, unleserlich sind oder den Vorschriften nach § 9 Abs. 1 oder § 11 Abs. 1 nicht vollständig entsprechen, ist der Abgebende berechtigt, nach Rücksprache mit dem verschreibenden Arzt, […] Änderungen vorzunehmen. […]“

Die Apotheke wird in dringenden Fällen durch den Gesetzgeber bei Notfall-Verschreibungen sogar ermächtigt, die Benachrichtigung des Arztes nach einer eiligen Versorgung vorzunehmen:

8 Abs. 6 BtMVV

„(6) […] Die Apotheke hat den verschreibenden Arzt […] unverzüglich nach Vorlage der Notfall-Verschreibung und möglichst vor der Abgabe des Betäubungsmittels über die Belieferung zu informieren.“

Auch hier gibt der Gesetzgeber zu erkennen, dass bei dringender Versorgung die Information des Arztes notfalls auch unverzüglich nach der Versorgung erfolgen kann.

Leider fehlt eine entsprechende Ermächtigung der Apotheke für die §§ 9 und 12 BtMVV, sodass einige Retax-Prüfstellen jede Bestätigung nach der Versorgung des Patienten ablehnen, selbst wenn diese durch den Arzt und/oder durch den Patienten erfolgen.

Heute wieder ein aktueller Retaxfall, der hauptsächlich deshalb auf Unverständnis stößt, da der Arzt seine Höchstmengenüberschreitung schon auf der Verordnung durch seinen Mengen- und Dosierungsvermerk „ärztl. begründet“ erklärt:

Krankenkasse: AOK Bayern (IK 108310400)
Verordnung 1:Medikinet adult 40 mg Kaps REK 52 St. N2
Verordnung 2:Medikinet 10 Tabletten TAB 100 St. N3
Abgabedatum:20.09.19

Neben der jeweiligen Einnahmeanweisung hat der Arzt die verordnete Menge ausdrücklich mit dem Vermerk „ärztl. begründet“ bestätigt.
Aber hier sieht sich die Rezeptprüfstelle der AOK offenbar als Kontrollbehörde, der das eigentlich vorgeschriebene „A“ für die Höchstmengenüberschreitung fehlt und der ärztliche Vermerk „ärztl. begründet“ nicht ausreicht. Daher wurde der Apotheke die Erstattung dieser Versorgung verweigert:

Die Höchstmenge für Methylphenidat, die ein Arzt nach BtMVV einem Patienten innerhalb von 30 Tagen verordnen darf, beträgt 2.400 mg.
Die verordnete Menge beträgt (bezogen auf Methylphenidat-HCl, da laut § 1 BtMVV die Höchstmenge auch für die entsprechenden Salze und Molekülverbindungen gilt) 40 mg x 52 St. + 10 mg x 100 St. = 3.080 mg und liegt damit schon alleine bei dieser Verordnung über der Höchstmenge.

Sicher erinnern Sie sich an die ausufernden BtM-Retaxationen, die 2012 dazu führten, dass sich sogar die Politik, die Behörden und die Medien sehr intensiv damit beschäftigten und dadurch die Versorgung von Schmerzpatienten gefährdet sahen.

Da im aktuellen Fall der AOK kein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist und auch der Patient keinen therapeutischen Nachteil hatte, sollten Krankenkassen von solchen „amtlichen“ Retaxationen absehen, wie es der Rahmenvertrag von 2016 in § 6 Abs. 1c und auch entsprechende regionale Vereinbarungen ermöglichen.

Und da die retaxierte Verordnung bereits einer jahrelang unbeanstandeten Versorgung dieser Patientin entsprach, besteht auch ein direkter Bezug zu einem aktuellen Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 25. Februar 2020 (Az. S 6 KR 251/18).

Das Gericht hielt zwar das fehlende „A“ nicht für einen unbedeutenden Formfehler, gab aber der klagenden Apothekerin Recht, dass die Krankenkasse auf ihren Hilfsantrag eingehen musste, der der Krankenkasse ein Absehen von einer Retaxation trotz eines Formfehlers ganz oder teilweise ermöglicht. Der Verweis der Kasse, es handele sich nicht um einen unbedeutenden, die Arzneimittelsicherheit und die Wirtschaftlichkeit der Versorgung nicht wesentlich tangierenden Formfehler, reiche nicht aus, auf den Hilfsantrag der Kollegin nicht einzugehen.

Die Kasse hat somit die geforderte Ermessensentscheidung zu treffen und dabei muss sie laut Gericht auch berücksichtigen, dass die betroffene Patientin seit 2013 durchgängig – nach dem eindeutig bestätigten Willen des verordnenden Arztes unter Überschreitung der Höchstmenge – versorgt werden sollte und durch die Klägerin auch versorgt worden ist. Gleiches gilt für den Umstand, dass der Kasse trotz pflichtwidriger Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt hinsichtlich des „A“ kein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist und keine unsachgemäße oder falsche Behandlung der Patientin erfolgte (nähere Infos können Sie einem Artikel der DAZ vom 19.05.20 entnehmen).

Im heute vorliegenden Fall wurde der Absicht des Verordnungsgebers und der damals betroffenen Krankenkasse in ihrer Anklageerwiderung bei obiger Verhandlung genüge getan:
„Die Kennzeichnung der bewussten Überschreitung der Höchstmenge müsse sowohl für die Apotheke als auch für die Krankenkasse auf den ersten Blick erkennbar sein.“
Durch seinen Vermerk „ärztl. begründet“ hat der Arzt kundgetan, dass ihm die Höchstmengenüberschreitung bewusst und diese Überschreitung therapeutisch begründet ist.

Was bleibt, ist also tatsächlich der Formfehler, dass hierfür nicht das vorgesehene „A“ verwendet wurde!

Bei ihrem Einspruch sollte die von der aktuellen Retax betroffene Apotheke aber dennoch nicht „nur“ auf einen unbedeutenden Formfehler abstellen, sondern neben der vorhandenen ärztlichen Begründung hilfsweise auch – entsprechend dem aktuellen SG-Urteil – auf einer weiteren begründeten Ermessensentscheidung zur Verweigerung des vertraglich möglichen Retaxverzichtes bestehen.

Apotheker Dieter Drinhaus, DAP Forum

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