Neue alte Retaxfalle: Abgabefrist überschritten
Wird bei der Rezeptbelieferung die Abgabefrist ohne Angabe von Gründen überschritten, so ist in der Regel eine Retax die Folge. Seit der Einführung des E-Rezepts berichten uns immer wieder Apotheken von solchen Retaxationen, wobei sich an der rechtlichen Grundlage im Vergleich zur Abrechnung von Papierrezepten nichts geändert hat. Wo liegen die Fallen beim E-Rezept?
Retax aufgrund überschrittener Abgabefrist
In einem aktuellen Fall wurde in einer Apotheke am 4. Juli 2024 ein E-Rezept eingereicht, das tags zuvor ausgestellt worden war. Die Apotheke bestellte das Arzneimittel und legte es zur Abholung bereit. Allerdings war die Kundin offenbar zunächst noch ausreichend versorgt, denn sie holte das bestellte Präparat erst am 5. November 2024 ab. Die Apotheke scannte das Arzneimittel an diesem Tag ab und hinterlegte im Abgabedatensatz den Vermerk, dass das Rezept fristgerecht vorgelegt worden war. Dennoch erhielt sie ein knappes Jahr später die Retaxation mit der Begründung „Überschreitung der Belieferungsfrist“.
Grundlage: Arzneimittel-Richtlinie
Die Rezeptgültigkeit für Muster-16-Rezepte ist in § 11 Abs. 4 der Arzneimittel-Richtlinie definiert.
11 Abs. 4 AM-RL
„Verordnungen dürfen längstens 28 Tage nach Ausstellungsdatum zu Lasten der Krankenkasse beliefert werden. Die Belieferungsfrist endet auch dann mit dem Ablauf ihres letzten Tages, wenn dieser auf einen Samstag, Sonntag oder einen gesetzlichen Feiertag fällt. Verordnungen nach § 39 Absatz 1a SGB V sind als solche zu kennzeichnen und dürfen nur innerhalb von 3 Werktagen zu Lasten der Krankenkasse beliefert werden. Kürzere Belieferungsfristen nach § 12 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe c BtMVV und den §§ 3a Absatz 4 und 3b Absatz 2 AMVV bleiben unberührt.“
Demnach muss die Belieferung innerhalb der vorgeschriebenen 28 Tage nach Ausstellungsdatum erfolgen, es ist also nicht nur relevant, wann das Rezept vorgelegt wurde, sondern ebenso, wann die Abgabe des Arzneimittels erfolgte.
Allerdings müssen zusätzlich die unterschiedlichen Umsetzungen der einzelnen Lieferverträge berücksichtigt werden. So nimmt der bundesweit gültige Arzneiversorgungsvertrag der Ersatzkassen in § 5 Abs. 2 ausdrücklich Bezug auf das Datum der Vorlage.
5 Abs. 2 AVV der Ersatzkassen
„Die Mittel dürfen nur abgegeben werden, wenn die Verordnung innerhalb der in den Arzneimittel-Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 SGB V bestimmten Gültigkeitsfrist nach Ausstellung der Verordnung in der Apotheke vorgelegt wird.“
Bei Ersatzkassen ist also das Vorlagedatum relevant, bei Primärkassen muss die Apotheke in den jeweiligen Liefervertrag schauen – oft folgen diese der Arzneimittel-Richtlinie, sodass auch die Abgabe innerhalb der Frist erfolgen muss.
Hinweis: Auch bei BtM-Rezepten ist das Datum der Vorlage maßgeblich (diese muss hier innerhalb von 7 Tagen nach dem Ausstellungsdatum erfolgen). Hintergrund ist, dass mit dieser Vorgehensweise in der Substitutionstherapie auch Rezepte zur Take-Home-Versorgung beliefert werden können, die mehrfache Teilabgaben zu unterschiedlichen Zeitpunkten vorsehen.
Möglichkeiten der Apotheke
Da Rezepte oft knapp vor dem Fristablauf in der Apotheke vorgelegt werden und dann mit einem möglichen Bestellvorgang eine fristgerechte Belieferung eng wird, wurde in § 129 Abs. 4d Punkt 3 SGB V eine Erleichterung für Apotheken vorgesehen, wenn nur eine kurze Fristüberschreitung vorliegt:
129 Abs. 4d Punkt 3 SGB V
„Unabhängig von den nach Absatz 4 Satz 2 erster Halbsatz in dem Rahmenvertrag nach Absatz 2 getroffenen Regelungen ist eine Retaxation ausgeschlossen, wenn […]
3. die vom Gemeinsamen Bundesausschuss in den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 festgelegte Belieferungsfrist von Verordnungen um bis zu drei Tage überschritten wird, es sei denn, es handelt sich um Verordnungen nach § 39 Absatz 1a, Verordnungen von Betäubungsmitteln oder Verordnungen von Wirkstoffen, für die kürzere Belieferungsfristen festgelegt sind. […]“
Die Apotheke darf also nicht retaxiert werden, wenn die Frist um maximal 3 Tage überschritten wird (diese Regelung gilt nicht für Rezepte mit verkürzter Belieferungsfrist).
Außerdem kann die Apotheke gemäß § 6 Abs. 2 Buchst. g7 Rahmenvertrag eine verspätete Abgabe vornehmen, wenn dies nach ärztlicher Rücksprache erfolgte und auf dem Rezept bzw. im Abgabedatensatz dokumentiert wurde – dies gilt als unbedeutender Fehler, der nicht zu einer Retax führen darf.
6 Abs. 2 Buchst. g7 Rahmenvertrag
„Um einen unbedeutenden Fehler im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 Buchstabe d) handelt es sich insbesondere: […]
g) Wenn bezogen auf den Rahmenvertrag […]
g7) die Apotheke ein Arzneimittel nach Ablauf der in § 11 Absatz 4 Satz 1 Arzneimittel-Richtlinie vorgesehenen Belieferungszeit von derzeit 28 Tagen nach Ausstellung abgibt. Hierbei gilt, dass die Rücksprache mit der verschreibenden Person und die Gründe für die Fristüberschreitung
- auf einem papiergebundenen Verordnungsblatt dokumentiert und von der Apothekerin / vom Apotheker abgezeichnet werden oder
- bei einer elektronischen Verordnung im elektronischen Abgabedatensatz entsprechend der Regelungen nach § 2 Absatz 17 Satz 4 zur Rezeptänderung ergänzt und mittels qualifizierter elektronischer Signatur signiert werden.“
Im vorliegenden Fall hätte die Apotheke also nicht nur das Vorlagedatum dokumentieren, sondern zusätzlich mit der verordnenden Person klären müssen, ob eine verspätete Abgabe zulässig ist – mit entsprechender Dokumentation im Abgabedatensatz.
Unterschied E-Rezept vs. Papierrezept
Die zuvor beschriebenen Vorgaben galten auch schon vor Einführung des E-Rezepts, aber offenbar werden viele Apotheken nun von entsprechenden Retaxationen überrascht. Hintergrund mag sein, dass bei Abholung und Papierrezepten die jeweiligen Rezepte gegebenenfalls bei drohendem Fristablauf bereits in die Abrechnung überführt wurden und nur das Arzneimittel mit entsprechender Quittung zur Abholung aufgehoben wurde.
Bei E-Rezepten ist dies in der Regel nicht möglich, da der Vorgang erst mit dem Abscannen bei der Abgabe komplett abgeschlossen werden kann. Daher sollten die Fristen bei E-Rezepten genau im Blick behalten und im Team erörtert werden, wie man mit kurz vor Ablauf stehenden und noch nicht abgeholten Rezepten umgehen sollte.
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