Erstes Gentherapeutikum gegen Hämophilie A

Die Hämophilie A ist die häufigste Form der Hämophilie, welche durch einen Mangel an Gerinnungsfaktor VIII entsteht. Bei Betroffenen kommt es je nach Schweregrad des Verlustes an Gerinnungsfaktor zu erhöhten Blutungsneigungen nach Verletzungen bis hin zu schweren Spontanblutungen, welche schon nach kleinen Verletzungen oder Operationen entstehen können. Der Ausschuss für neuartige Therapien (Committee for Advanced Therapies, CAT) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) hat nun eine Zulassungsempfehlung für das Gentherapeutikum Roctavian von BioMarin ausgesprochen.

Die Hämophilie A ist eine Erbkrankheit, die zu einer Störung der Blutgerinnung führt. Dabei kommt es zu einem Mangel an Faktor VIII (antihämophiles Globulin). Grund dafür sind Mutationen im F8-Gen, welches für den Gerinnungsfaktor VIII kodiert. Da das F8-Gen auf dem langen Arm des X-Chromosoms liegt, wird es X-chromosomal-rezessiv vererbt, wodurch die Erkrankung fast ausschließlich bei Männern auftritt, da Frauen ein zweites X-Chromosom besitzen, das den Gendefekt in der Regel ausgleichen kann. Schätzungen zufolge ist einer von 6.000 Männern von Hämophilie A betroffen.

Die Symptomatik unterscheidet sich je nach Schweregrad der Erkrankung. Liegt die Aktivität des Gerinnungsfaktors bei 5–40 %, resultiert daraus eine leichte Hämophilie mit abnormer Blutungsneigung als Folge kleiner Verletzungen oder Operationen. Liegt die Aktivität des Gerinnungsfaktors jedoch unter 1 %, besteht eine schwere Hämophilie mit häufigen abnormen Spontanblutungen.

Die bisherige Therapie besteht aus der exogenen Substitution des Faktors VIII, was lebenslange Injektionen zur Folge hat. Nun hat mit Roctavian das erste Gentherapeutikum gegen Hämophilie A eine Zulassungsempfehlung von der EMA erhalten. Bei der einmaligen Injektion wird der Bauplan des Gens, welches für das Faktor-VIII-Protein kodiert, in einem vermehrungsunfähigen Adeno-assoziierten Vektor appliziert. Dieses Gen wird in einige Leberzellen transportiert, um eine funktionsfähige Kopie des Gerinnungsfaktors zur Verfügung zu stellen, was dazu beiträgt, Blutungsepisoden zu verringern oder Blutungen zu verhindern.

Bekannt ist noch nicht, wie lange der Behandlungseffekt anhalten wird. In einer Phase-III-Studie an 134 Patienten konnte gezeigt werden, dass 2 Jahre nach der Behandlung mit dem Gentherapeutikum eine deutliche Verringerung der Blutungen und des Verbrauchs an exogenem Gerinnungsfaktor eintrat. Bei einzelnen Personen wurde ein bis zu 5 Jahre anhaltender Behandlungseffekt festgestellt. Um beurteilen zu können, wie lange die Wirkung der Gentherapie anhält und ob zusätzliche unerwünschte Wirkungen auftreten, hat der CAT eine Nachbeobachtung der Patienten über 15 Jahre festgelegt.1 Die finale Entscheidung über eine Zulassung trifft die Europäische Kommission.
 


1 Paul-Ehrlich-Institut: Erstes Gentherapeutikum gegen Hämophilie A erhält Zulassungsempfehlung. Online verfügbar unter:
https://www.pei.de/DE/newsroom/hp-meldungen/2022/220624-gentherapeutikum-haemophilie-a-roctavian-zulassungsempfehlung.html

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